Samstag, 2. November 2013

Lesefutter Oktober

So. Ich habe es geschafft, einen Monat lang ausschließlich Bücher aus der Grabbelkiste zu lesen. Das heißt, dass ich für vier Wochen Lesefutter sage und schreibe 60 Cent ausgegeben habe.
Außerdem war das denkbar umweltfreundlich.


S. Michel, M. Neusius, L. Ostmann (Hg.): Mein Klassiker

Eine Sammlung aus dem Jahre 2012 von Aufsätzen über literarische Klassiker. Ich hatte mir davon ein paar Anregungen erwartet, was man noch so lesen könnte, aber da war nur sehr wenig zu holen. Einige Autoren schrieben mehr so über ihr Verhältnis zu Büchern im Allgemeinen, einige über ihre eigenen Bücher und einige darüber, was ihnen an Klassikern nicht gefallen hat. Roger Willemsen fand zum Beispiel Goethes Werther weinerlich. Ich auch, aber da war ich 18. Ich seh es auch immer noch genau so, es ist mir nur einfach nicht neu. Bei der Hälfte der Beiträge hätte ich als Deutschlehrer drunter geschrieben „Thema verfehlt“, und bei einigen hätte ich Stil, Ausdruck und Rechtschreibung bemängelt – aber das ist dann wohl Kunst.
 
Ludwig Bemelmans: Incognito

Ein Buch aus den Fünfzigern. Der Protagonist reist ein wenig durch Frankreich, wobei ihn sein Begleiter als den Prinzen von Böhmen ausgibt. Das ist ungefähr auch schon der beste Einfall im Buch. Ein paar Geschichten, die zwar skurril, aber trotzdem recht langweilig sind, ein kleines bisschen Lokalkolorit, Anflüge von Humor.
Für 10 Cent ist das in Ordnung. Und: Ich hab die Erstausgabe von 1957.

Da gab es noch Reklame in Taschenbüchern



















E.T.A. Hoffmann: Die Unsichtbaren

Wenn sich jemand fragt, weshalb er von diesem Werk Hoffmanns noch nie gehört hat: Das liegt daran, dass es normalerweise Das Fräulein von Scuderi heißt. Meine Ausgabe wurde von irgend jemandem bearbeitet und umbenannt.
Und weil derjenige schon dabei war, hat er auch gleich den Schriftsteller umgetauft.

Eat Hoffmänn!


















Diese seltsame Ausgabe hab ich nicht mal bei zvab.com gefunden. Die Geschichte war sehr kunstvoll verworren (wobei das eigentlich auf alles zutrifft, was ich jemals von Hoffmann gelesen habe), aber recht spannend. Ich frage mich, ob das Stevenson als Vorlage Dr Jekyll und Mr. Hyde gedient hat.


Ottilie Wildermuth: Jugendgabe

Der Einband von dem Buch ist so hässlich und vergammelt, dass ich es eigentlich erst gar nicht haben wollte, aber einen Versuch war es wert. Allein schon, weil so tolle Bilder drin sind.



















Nach ein paar Seiten war ich überzeugt, dass diese 10 Cent eine gute Investition waren. Das ist Kinderliteratur aus dem 19. Jahrhundert. Das Dörtchen geht trotz großer Begabung nicht zum Theater, sondern heiratet lieber den braven Leutnant, der fleißige Ernst hat viel mehr Erfolg im Leben als seine faulen oder verwöhnten Klassenkameraden… alles in dem Stil, aber die Autorin hat meiner Meinung nach was drauf. Damals sollten die lieben Kleinen beim Lesen noch was lernen (na, das sollen sie heutzutage bestimmt wieder – der Standort und so, nicht wahr), aber immerhin wurden sie dabei gut unterhalten.
Fand ich besser als z.B. Johanna Spyri (das ist die mit Heidi).

Hans F. Blunck: Die große Fahrt (aufgegeben)

Bei Knut Hamsun kann man sich ja noch streiten, bei Herrn Blunck ganz sicher nicht: Der Mann war ein Nazi. Allerdings kein großer Schriftsteller.
Das Buch handelt davon, dass im 15. Jahrhundert von Island aus Amerika entdeckt wurde, bevor die Portugiesen da waren. Das klingt ja nun mal echt nach Spannung und Abenteuer, aber weit gefehlt. Erst streiten sie sich 60 Seiten lang auf Island rum, dann wird die Fahrt samt Sturm, Eisberg, Amerika und Überwinterung in Grönland in 20 Seiten abgehandelt und dann streiten sie sich weiter. Die Charaktere sind flach, die Sprache ist etwas hölzern – und es war einfach so dermaßen langweilig, dass ich das Buch nicht zu Ende lesen mochte, sondern wieder in die Bücherkiste gelegt habe, wo es mir die nächste Kundin praktisch aus der Hand gerissen hat. Der Einband sieht halt sensationell gut erhalten aus – vermutlich hat das noch nie jemand fertig gelesen.


















Ich fühlte mich stark an meine Enttäuschung über Gorch Focks Seefahrt ist not! erinnert, das ich mit 16 mal gelesen habe und ähnlich öde fand. Ich will jetzt aber die beiden Schriftsteller nicht auf eine Ebene stellen. Gorch Fock muss eigentlich besser sein. Immerhin hab ich da bis zum Ende durchgehalten.

Albert Camus: Der glückliche Tod

Und zum Ausgleich wieder ein Nobelpreisträger. Das Buch ist erst posthum veröffentlicht worden, denn dem Autor war zweifellos klar, dass das kein ausgereiftes Werk ist. Lesen kann man es aber schon. Es geht tatsächlich in erster Linie um das Glück und den Tod. Von der etwas zusammengestückelten Handlung mal abgesehen fand ich etwas störend, dass zu viel erklärt wird. Entfremdung, Zerrissenheit, Einsamkeit, das erkennt man schon, ohne dass es einem noch mal extra unter die Nase gerieben wird. Der Fremde entstand wohl direkt im Anschluss und ist wesentlich besser. Trotzdem hab ich das sichere Gefühl, dass man alles, was Camus jemals geschrieben hat, ohne Reue kaufen (insbesondere für 10 Cent) und vor allem auch lesen kann.
Oh, jetzt hätte ich es fast vergessen, ich wollte ja noch einen wunderbaren Ausspruch zitieren. Ein Mann malt sich aus, was er tun würde, wenn er neunhundertausend Franc hätte:
"Ich würde mir eine kleine Hütte kaufen, mir ein bisschen Vogelleim auf den Nabel schmieren und eine Fahne draufsetzen. Und dann würde ich warten und sehen, von welcher Seite der Wind kommt."
Ganz groß!

6 Kommentare:

  1. Beeindruckend - das mit dem 2nd life. Habe ein schlechtes gewissen, weil ich erst gestern einige bücher (neu) bestellt habe.

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  2. Eat: LOL Wohl extra gruselig.

    Na ja, die Leuntnants zu Wildermuths Zeit waren auch u.U. ziemliche Suffköppe. Also einen gut ausgebildeten oder gar studierten Bürger finde ich da ziemlicher für eine junge Frau. Es sind ja auch nicht alle Zivilisten faul!

    In Tübingen gibt es übrigens ein Ottilie-Wildermuth-Gymnasium

    http://www.wildermuth-gymnasium.de/index.php?id=geschichte

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    1. Hey, das sind aber Vorurteile! Das war ein *braver* Leutnant, kein Hoch-die-Tassen-und-nur immer-ran-an-die-Uniform-Mädels-Hallodri. ;-)

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  3. Immer wieder spannend, was du für Schätzchen entdeckst.
    Besonders das Kinderbuch klingt sehr interessant =^.^=

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  4. Respekt, dass Du bei Knut Hamsun immerhin so lange durchgehalten hast. Ich habe auch den Charme alter Bücher wiederentdeckt, ich kaufe hier Bücher im Antiquariat oder Second Hand, allerdings keine Bücher von Schriftstellern, die noch im jetzigen Leben auf ein Auskommen angewiesen sind, ausgewiesene Bestsellerautoren jetzt mal ausgenommen. Da finde ich, muss man die Bücher neu kaufen.

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    1. Keine Sorge, *deins* hab ich neu gekauft. :D

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